WIMT Newsletter 02/19


Gründerzeitviertel verfügen über einen überwiegenden Gebäudebestand, der in der Zeit von 1870 bis 1917 errichtet wurde.

Die Ausdehnung der Beschränkung des § 2 Abs 3 RichtWG auf einen überwiegenden Gebäudebestandaller vor 1917 errichteten Gebäude, verstößt gegen den klaren Wortlaut des Gesetzes.

 

Was unter „durchschnittlicher Lage“ zu verstehen ist, definiert § 16 Abs 4 MRG nicht. Er verweist dazu vielmehr auf § 2 Abs 3 RichtWG. Danach ist die durchschnittliche Lage nach der allgemeinen Verkehrsauffassung und der Erfahrung des täglichen Lebens zu beurteilen, wobei eine Lage (Wohnumgebung) mit einem überwiegenden Gebäudebestand, der in der Zeit von 1870 bis 1917 errichtet wurde und im Zeitpunkt der Errichtung überwiegend kleine, mangelhaft ausgestattete Wohnungen (Wohnungen der Ausstattungskategorie D) aufgewiesen hat, höchstens als durchschnittlich einzustufen ist. Der zweite Halbsatz des § 2 Abs 3 RichtWG kommt (nur) dann zum Tragen, wenn die Lage (Wohnumgebung) des fraglichen Hauses noch zum Zeitpunkt des Abschlusses der Mietzinsvereinbarung zu mehr als 50 % aus Gebäuden besteht, die in der Zeit von 1870 bis 1917 errichtet wurden und die damals im Zeitpunkt ihrer Errichtung überwiegend kleine Wohnungen der Ausstattungskategorie D enthielten. Diese gesetzlich als höchstens durchschnittlich eingestuften Lagen werden in der Regel als „Gründerzeitviertel“ bezeichnet (5 Ob 74/17v). Die Lage innerhalb eines Gründerzeitviertels verhindert somit zwingend die Zuerkennung eines Lagezuschlags (Lovrek/Stabentheiner in GeKo Wohnrecht I § 16 MRG Rz 82).

 

Das relevante Gebiet, für das die in § 2 Abs 3 RichtWG genannten Kriterien zu prüfen sind, ist nach dem Ausschussbericht zum 3. Wohnrechtsänderungsgesetz (AB 1268 BlgNR 18. GP 19) nicht ein ganzer Bezirk oder Stadtteil, sondern umfasst mehrere Wohnblöcke oder Straßenzüge mit einer gleichartigen Gebäudecharakteristik. Die Frage der räumlichen Ausdehnung dieses „Evaluierungsraums“ und der Möglichkeiten seiner Ermittlung im konkreten Einzelfall werden im Schrifttum kontroversiell diskutiert. Die in der mietrechtlichen Praxis gängige Methode der Ermittlung der konkreten Lage in einem Gründerzeitviertel ist das vom Magistrat der Stadt Wien erstellte Verzeichnis sämtlicher Gründerzeitviertel (5 Ob 74/17v mwN). Der (Gegen-)Beweis, dass eine Liegenschaft ungeachtet des veröffentlichten Plans oder des Straßenverzeichnisses doch nicht oder nicht mehr in einem Gründerzeitviertel liegt, ist aber zulässig. Wenn daher in dem maßgeblichen Evaluierungsraum mehr als die Hälfte der Häuser aus der Zeit von 1870 bis 1917 mittlerweile Neubauten gewichen ist, kann auch ein ursprüngliches „Gründerzeitviertel“ in der Umschreibung des § 2 Abs 3 zweiter Halbsatz RichtWG zu einer Wohnumgebung werden, auf die die Beschränkung des § 2 Abs 3 RichtWG hinsichtlich des Lagezuschlags nicht mehr zutrifft. Der Gegenbeweis der Entwicklung des konkreten Wohnviertels zu einem „Nicht-(mehr-)Gründerzeitviertel“, etwa infolge des Ersatzes einer solchen Anzahl von Gründerzeitgebäuden durch Neubauten, sodass diese nicht mehr überwiegen ist also zulässig (5 Ob 74/17v; 5 Ob 102/17m; 5 Ob 43/17k; 5 Ob 188/14d; vgl VfGH Erkenntnis vom 12.1 0. 2016 G 673/2015 ua).

 

Die Ausdehnung der Beschränkung des § 2 Abs 3 RichtWG hinsichtlich des Lagezuschlags von einem überwiegenden Gebäudebestand, der in der Zeit von 1870 bis 1917 errichtet wurde, auf einen überwiegenden Gebäudebestand, der in der Zeit vor 1917 errichtet wurde, verstößt gegen den klaren Wortlaut des Gesetzes. Ein überwiegender Gebäudebestand aus der Zeit vor 1917 (mit im Zeitpunkt der Errichtung überwiegend kleinen, mangelhaft ausgestatteten Wohnungen der Ausstattungskategorie D) ist zwar nicht gleich einem Gründerzeitviertel im Sinn des zweiten Halbsatzes des § 2 Abs 3 RichtW ein zwingender Ausschluss eines Lagezuschlags, eine noch schlechtere Bausubstanz der Gebäude vor 1870 kann aber dennoch nach der allgemeinen Verkehrsauffassung und der Erfahrung des täglichen Lebens gegen die Annahme einer überdurchschnittlichen Lage sprechen. Die Art der Bebauung und ihre typischen Merkmale sind wesentliche Kriterien für die Beurteilung der Lagequalität (AB 1268 BlgNR 18. GP 19).

 

OGH 20.2.2019, 5 Ob 198/18f

 

https://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=Justiz&Dokumentnummer=JJT_20190220_OGH0002_0050OB00198_18F0000_000