WIMT-Sondernewsletter 2022/1

 

 

Mietzinsminderung wegen Covid 19-Betretungsverboten – erste OGH-Entscheidung zur Gastronomie

 

Mietzinsminderung wegen Covid 19-Betretungsverboten – erste OGH-Entscheidung zur Gastronomie

 

Vorbehaltlich einer abweichenden Parteienvereinbarung deckt der Geschäftszweck „Gastwirtschaft“ sämtliche Tätigkeiten, zu denen ein Gastgewerbetreibender nach der GewO berechtigt ist. Dies beinhaltet auch das Anbieten eines Take-away und die Lieferung von Speisen und Getränken.

Bereits die abstrakte Nutzungsmöglichkeit (Lieferservice und Take-away) führt zu einer zumindest teilweisen Brauchbarkeit des Bestandobjekts. Es ist daher nur eine anteilige Mietzinsminderung gem § 1105 ABGB gerechtfertigt.

Der Bestandnehmer muss behaupten und beweisen, dass die Möglichkeit des Anbietens eines Liefer- und Abholservices im konkreten Fall keinen verbleibenden Gebrauchsnutzen gebracht hat.

 

 

Mietzinsreduktion wegen Betretungsverbots im zweiten Lockdown – Gastronomie (OGH 25.1.2022, 8 Ob 131/21d)

 

Der achte Senat des OGH bestätigte zunächst die drei Vorentscheidungen (3 Ob 78/21y Sonnenstudio, 3 Ob 184/21m Nagel- und Kosmetikstudio, 5 Ob 192/21b Fitnessstudio) und hielt grundsätzlich fest, dass im Falle der gänzlichen Unbenützbarkeit eines Bestandgegenstandes aufgrund „außerordentlicher Zufälle“, gemäß § 1104 ABGB kein Mietzins zu entrichten ist.  Zu den in § 1104 ABGB (ua) ausdrücklich genannten Elementareignissen gehöre auch die „Seuche“. Die Voraussetzungen des § 1104 ABGB seien auch dann gegeben, wenn die Unbenützbarkeit aus hoheitlichen Eingriffen (zB Betretungsverbote) zur Bekämpfung einer Seuche resultiert. Einer Beeinträchtigung  der physischen Substanz des Bestandobjekts bedürfe es für die Anwendung des § 1104 ABGB hingegen nicht.

 

Entsprechend der hM und der Vorentscheidungen führte der OGH weiters aus, dass die Frage, ob (teilweise) Unbenützbarkeit des Bestandgegenstands vorliegt, nach dem Vertragszweck zu beurteilen ist. Nach ständiger Rechtsprechung müsse die Bestandsache eine Verwendung zulassen, wie sie gewöhnlich nach dem Vertragszweck erforderlich ist und nach der Verkehrssitte erfolgt. Für die Beurteilung sei daher in erster Linie die (ausdrückliche) Parteienvereinbarung bzw der dem Vertrag zugrunde gelegte Geschäftszweck maßgeblich. Dabei komme es stets auf die Umstände des Einzelfalls an. Ist der bedungene Gebrauch des Bestandobjekts durch Kundenverkehr gekennzeichnet, so führe ein Betretungsverbot aus Anlass der COVID-19-Pandemie zur gänzlichen Unbenutzbarkeit des Bestandobjekts im Sinn des § 1104 ABGB (vgl Lovrek, COVID-19: Auswirkungen auf Bestandverträge, ZIK 2020/60, 3.2). Ist die vertragsgemäße charakteristische Nutzung hingegen nur eingeschränkt, so komme es gemäß § 1105 ABGB zu einer Mietzinsminderung im Umfang der Gebrauchsbeeinträchtigung nach der relativen Berechnungsmethode (Lovrek in Rummel/Lukas4 § 1096 ABGB Rz 111). 

 

Im konkreten Fall war im Mietvertrag der Betrieb einer Gastwirtschaft als Verwendungszweck vereinbart worden. Eine Änderung des Verwendungszwecks war nur mit ausdrücklicher schriftlicher Zustimmung des Vermieters gestattet.  Festgestellt wurde weiters, dass der Mieter weder vor dem 3. 11. 2020 noch danach ein Abhol- bzw Zustellservice angeboten hat. 

 

Der OGH prüfte zunächst, ob der vertragliche Verwendungszweck „Gastwirtschaft“ auch ein Take-away und die Lieferung von Speisen und Getränken beinhaltet. Er hielt in diesem Zusammenhang zunächst fest, dass unter die Gewerbeberechtigung für das Gastgewerbe auch die Lieferung und damit der Verkauf von angerichteten kalten Platten, kalten oder warmen Buffets sowie sonstigen warmen Speisen und Menüs ohne Nebenleistungen fällt (vgl VwGH 10. 9. 1991, Zl 91/04/0060). § 111 Abs 4 Z 4 lit a GewO berechtige den Gastwirt insbesondere dazu, alles, was er den Gästen im Betrieb verabreicht, zB auch Torten und Mehlspeisen (auch im Ganzen), über die Gasse zu verkaufen (Gruber/Paliege-Barfuß, GewO7 § 111 Anm 70). Nach dem Verständnis der beteiligten Verkehrskreise decke der Geschäftszweck „Gastwirtschaft“ sämtliche Tätigkeiten, zu denen ein Gastgewerbetreibender nach der GewO berechtigt ist, also auch das Anbieten eines Take-away und die Lieferung von Speisen und Getränken. Die Parteien hätten in erster Instanz auch nicht behauptet, dass sie dem Begriff in concreto einen davon abweichenden Sinn beigemessen und den Geschäftsgegenstand „Gastwirtschaft“ insoweit (gegenüber den sich aus der GewO ergebenden Berechtigungen) eingeschränkt hätten.

 

Ausgehend von diesen Erwägungen vertrat der OGH die Ansicht, dass bereits die abstrakte Nutzungsmöglichkeit (Lieferservice und Take-away) zu einer zumindest teilweisen Brauchbarkeit des Bestandobjekts und damit zu einer bloß anteiligen Mietzinsminderung führt. Daraus folge, dass die im konkreten Fall objektiv bestehende Möglichkeit des Mieters, ein Liefer- oder Abholservice anzubieten, eine zumindest teilweise Brauchbarkeit des Geschäftslokals begründet. Dem Mieter stehe aber der Einwand offen, dass die Etablierung eines bislang nicht betriebenen Liefer- oder Abholservices nicht (sofort) zumutbar gewesen wäre. Unzumutbarkeit läge jedenfalls dann vor, wenn – etwa aufgrund des fehlenden Kundenkreises – ein nachhaltiges Verlustgeschäft zu erwarten gewesen wäre. Die Beweispflicht für die mangelnde Brauchbarkeit des Bestandobjekts träfe den Bestandnehmer. Daher müsse der Bestandnehmer behaupten und beweisen, dass die Möglichkeit des Anbietens eines Liefer- und Abholservices im konkreten Fall gar keinen verbleibenden Gebrauchsnutzen gebracht hat.

 

Anbei finden Sie den Volltext der Entscheidung: 

 

https://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=Justiz&Gericht=&Rechtssatznummer=&Rechtssatz=&Fundstelle=&AenderungenSeit=Undefined&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=True&GZ=8ob131%2f21d&VonDatum=&BisDatum=20.03.2022&Norm=&ImRisSeitVonDatum=&ImRisSeitBisDatum=&ImRisSeit=Undefined&ResultPageSize=100&Suchworte=&Position=1&SkipToDocumentPage=true&ResultFunctionToken=98dcfb75-15f0-477d-a8a4-858ba3094ee9&Dokumentnummer=JJT_20220125_OGH0002_0080OB00131_21D0000_000

 

 


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