WIMT-Sondernewsletter 2022/4

 

 

Unbenutzbarkeit eines Bäckerei-Cafe´ in einem Fachmarktzentrum während der Lockdowns (OGH 19.5.2022, 3 Ob 36/22y)

 

  • Ein Betretungsverbot aus Anlass der COVID-19-Pandemie führt zur gänzlichen Unbenutzbarkeit des Bestandobjekts iSd § 1104 ABGB, wenn der bedungene Gebrauch des Bestandobjekts durch Kundenverkehr gekennzeichnet ist.
  • Bei der Ermittlung des vereinbarten Geschäftszwecks ist nicht bloß auf den schriftlichen Mietvertrag abzustellen, sondern auch auf mündliche Vereinbarungen einzugehen. 
  • Die objektiv bestehende Möglichkeit, ein Liefer- oder Abholservice anzubieten, kann zwar eine zumindest teilweise Brauchbarkeit des Geschäftslokals begründen; dem Mieter steht allerdings der Einwand offen, dass die Etablierung eines von ihm bisher nicht betriebenen Liefer- oder Abholservices nicht (sofort) zumutbar gewesen wäre.  
  • Unzumutbarkeit wird jedenfalls dann vorliegen, wenn – etwa aufgrund des fehlenden Kundenkreises – ein nachhaltiges Verlustgeschäft zu erwarten gewesen wäre.

 

 

 Im konkreten Fall ging es um ein Bäckerei-Cafe´ in einem Fachmarktzentrum. Die Mieterin betreibt insgesamt zwölf Bäckerei- und Bäckerei-Cafe-Filialen in unterschiedlichen Städten Kärntens; diese werden teilweise als reine Bäckereifilialen (ohne Sitzmöglichkeiten zur Konsumation von Speisen) und teilweise mit nahezu reinem Kaffeehausbetrieb betrieben. Im  konkreten Objekt werden etwa 90 % der Umsätze über den Kaffeehausbetrieb und nur rund 10 % durch den Verkauf von Backwaren über den Thekenbereich erzielt. Nach den Feststellungen des OGH war allen Beteiligten bei Vertragsabschluss klar, dass eine reine Bäckerei bzw eine überwiegend auf Bäckereiverkauf ausgerichtete Filiale aufgrund des Standorts im Fachmarktzentrum im reinen Gewerbegebiet wirtschaftlich nicht überlebensfähig gewesen wäre. Es war den Parteien daher vollkommen bewusst, dass das Bestandverhältnis primär auf den Betrieb eines Kaffeehauses abstellt, wenngleich anlässlich des Mietvertragsabschlusses auch der Verkauf von Backwaren angesprochen wurde. Im Mietvertrag wurde weiters eine Betriebspflicht der Mieterin vereinbart. Die Mieterin schloss die Filiale während der Lockdowns, weil sie die Filiale als Gastronomiebetriebsstätte ansah und daher davon ausging, dass das Öffnen untersagt sei. Der Weiterbetrieb als bloße Bäckereifiliale kam für sie nicht in Frage, weil der Betrieb auf einem einheitlichen Konzept beruhte, das zwingend den Kaffeehausbetrieb voraussetzte. Weiters stellte das Höchstgericht fest, dass das Aufrechterhalten des Betriebs als reiner Backwarenverkauf wirtschaftlich unmöglich gewesen wäre, weil es wegen der Lage außerhalb von Wohnvierteln keine Laufkundschaft mit Ausnahme der Kunden der weiteren im Fachmarktzentrum angesiedelten Geschäfte gibt. Dadurch, dass sämtliche weitere im Fachmarktzentrum ansässige Geschäfte mit Ausnahme eines Drogeriemarkts und eines Lagerhauses während der „Lockdowns“ ebenfalls geschlossen hatten, verringerte sich die Kundenfrequenz und damit der mögliche Kundenpool der Mieterin empfindlich. Die Mieterin hätte daher bei Offenhalten des reinen Bäckereiverkaufs mit diesem wesentlich weniger Umsatz erzielt als üblich. Konkret ging der OGH davon aus, dass der Umsatz weniger als 10 % des sonstigen Gesamtumsatzes gewesen wäre. Auch ein „to-go“ Service kam nach Ansicht es OGH nicht in Betracht, da 90 % der Kundschaft im Rahmen des Kaffeehausbetriebs Getränke und Speisen an den im Innen- und Außenbereich des Lokals vorhandenen Tischen konsumieren. Ein Lieferservice bot und bietet die Mieterin an dem Standort nicht an, zumal dieses nicht dem Betriebs- und Bestandzweck entspricht. Zudem wäre die Einrichtung eines Lieferservice der Mieterin in kurzer Zeit auch gar nicht möglich gewesen.

 

Der 3.Senat bestätigte zunächst die höchstgerichtlichen Vorentscheidungen und führte aus, dass ein Betretungsverbot aus Anlass der COVID-19-Pandemie zur gänzlichen Unbenutzbarkeit des Bestandobjekts iSd § 1104 ABGB führt, wenn der bedungene Gebrauch des Bestandobjekts durch Kundenverkehr gekennzeichnet ist. Ist die vertragsgemäße charakteristische Nutzung hingegen nur eingeschränkt, so komme es gem § 1105 ABGB zu einer Mietzinsminderung im Umfang der Gebrauchsbeeinträchtigung nach der relativen Berechnungsmethode (3 Ob 184/21m mwN) . Weiters hielt der OGH fest, dass die Frage der Benützbarkeit des Bestandgegenstands nach dem Vertragszweck zu beurteilen ist. Nach stRsp müsse die Bestandsache eine Verwendung zulassen, wie sie gewöhnlich nach dem Vertragszweck erforderlich ist und nach der Verkehrssitte erfolgt. Für die Ermittlung des vereinbarten Geschäftszwecks sei jedoch nicht bloß auf den schriftlichen Mietvertrag abzustellen, sondern auch auf die mündlichen Vereinbarungen der Parteien. Daran könne auch ein im Mietvertrag enthaltenes Schriftformgebot nichts ändern, weil ein einverständliches Abgehen von der vereinbarten Schriftform sowohl ausdrücklich als auch stillschweigend jederzeit möglich und zulässig ist. In der Sache ging der OGH davon aus, dass beide Vertragsparteien primär vom Betrieb eines Kaffeehauses ausgingen, da eine ausschließlich oder überwiegend auf den Verkauf von Bäckereiwaren ausgerichtete Filiale aufgrund des Standorts im Gewerbegebiet wirtschaftlich nicht überlebensfähig wäre.

 

Die objektiv bestehende Möglichkeit, ein Liefer- oder Abholservice anzubieten, könne zwar eine zumindest teilweise Brauchbarkeit des Geschäftslokals begründen; dem Mieter steht allerdings der Einwand offen, dass die Etablierung eines von ihm bisher nicht betriebenen Liefer- oder Abholservices nicht (sofort) zumutbar gewesen wäre. Unzumutbarkeit wird jedenfalls dann vorliegen, wenn – etwa aufgrund des fehlenden Kundenkreises – ein nachhaltiges Verlustgeschäft zu erwarten gewesen wäre (8 Ob 131/21d). Im vorliegenden Fall wäre der Mieterin die Einrichtung eines Lieferservice in kurzer Zeit gar nicht möglich gewesen. Darüber hinaus liege es aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls auf der Hand, dass für die Mieterin mit einem Lieferservice ein nachhaltiges Verlustgeschäft verbunden gewesen wäre, weil während der „Lockdowns“ sämtliche andere Bäckereien geöffnet hatten und deshalb für potenzielle Käufer von Bäckereiwaren kein Anlass bestand, diese Produkte nicht in der Nähe ihres Wohnorts zu erwerben, sondern sich – gegen Entgelt, ohne das ein Lieferservice für die Beklagte zwangsläufig unwirtschaftlich gewesen wäre – beliefern zu lassen. Angesichts der Lage des Bestandobjekts im Gewerbegebiet und dem daraus folgenden Fehlen von Laufkundschaft sei auch klar gewesen, dass ein Betrieb des Geschäftslokals nur für ein „Abholservice“ für Bäckereiwaren (oder auch das Anbieten von Kaffee „to go“) nicht kostendeckend möglich gewesen wäre.

 

Der 3. Senat ging daher im vorliegenden Fall von einer gänzlichen Unbrauchbarkeit des Bestandobjekts während der „Lockdowns“ aus.

 

Anbei finden Sie den Volltext der Entscheidung:
https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Justiz/JJT_20220519_OGH0002_0030OB00036_22Y0000_000/JJT_20220519_OGH0002_0030OB00036_22Y0000_000.pdf


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