Eingeschränkte Nutzung einer Rechtsanwaltskanzlei während des ersten Lockdowns (OGH 29.4.2022, 7 Ob 207/21y)
Pandemiebedingte Nutzungseinschränkungen bei einer Rechtsanwaltskanzlei, die mit dem spezifischen Tätigkeitsprofil (hier Wirtschaftsanwältin) und der konkreten Mandantenstruktur begründet werden, berechtigen nicht zur Mietzinsminderung
Im vorliegenden Fall ging es um eine Rechtsanwaltskanzlei, die während des ersten Lockdowns nur eingeschränkt benutzt wurde. Das Objekt hat eine Nutzfläche von 250m² und wurde vor dem Lockdown von einem Juristen und zwei Sekretärinnen genutzt. Aufgrund des behördlichen Maßnahmenpakets zur Bekämpfung von COVID-19 während des ersten Lockdowns reduzierten die meisten Mandanten der Mieterin ihre Geschäftstätigkeit auf unbedingt notwendige Projekte. Die Dienstleistungen der Anwaltskanzlei wurden daher während des ersten Lockdowns um rund 80 % weniger nachgefragt. Weiters kam es zu einer Abberaumung eines Großteils der Gerichtsverhandlungen. Der in der Kanzlei tätige Jurist nutzte die Kanzlei während des Lockdowns im Durchschnitt einmal in der Woche, ohne selbst für diesen Tag ausreichend Arbeit vorzufinden. Mit den Mitarbeiterinnen wurde eine Kurzarbeitsvereinbarung mit einer Reduktion der Arbeitszeit um 90 % für die Dauer von drei Monaten geschlossen, die rückwirkend mit 15. März 2020 bewilligt wurde. Die anfallenden Arbeiten wurden von den Mitarbeiterinnen im Homeoffice erledigt. Trotz ständiger telefonischer Erreichbarkeit kontaktierten Klienten die Anwaltskanzlei erst wieder ab Mai 2020. Ab Juni 2020 verbesserte sich die Auftragssituation, wodurch der Jurist wieder ca 80 Stunden in der Kanzlei anwesend war. Die Mieterin machte aufgrund der eingeschränkten Nutzbarkeit für die Monate März, April, Mai und Juni 2020 eine Mietzinsminderung in Höhe von 80% geltend.
Der 7.Senat bestätigte zunächst die höchstgerichtlichen Vorentscheidungen, dass es bei der Beurteilung der Unbenutzbarkeit auf die Erfüllung des vertraglichen Geschäftszwecks ankommt (3 Ob 184/21m; 8 Ob 131/21d, 3 Ob 209/21p). Das Gesetz stelle dabei nicht auf eine vollständige oder teilweise Unbrauchbarkeit des Bestandobjekts durch eine Einwirkung auf dieses selbst (zB Verseuchung mit Krankheitserregern), sondern auf eine (hier) pandemiebedingte, gemessen am Vertragszweck objektive (vollständige oder teilweise) Unbenutzbarkeit ab. Ist der bedungene Gebrauch des Bestandobjekts durch Kundenverkehr gekennzeichnet, so führe ein Betretungsverbot aus Anlass der COVID-19-Pandemie zur gänzlichen Unbenutzbarkeit des Bestandobjekts iSd § 1104 ABGB. Ist die vertragsgemäße charakteristische Nutzung hingegen nur eingeschränkt, so komme es gem § 1105 ABGB zu einer Mietzinsminderung im Umfang der Gebrauchsbeeinträchtigung nach der relativen Berechnungsmethode (3 Ob 184/21m mwN). Für Rechtsanwaltskanzleien bestand jedoch zu keiner Zeit ein Betretungsverbot aus Anlass der COVID-19-Pandemie (vgl § 2 Z 15 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, BGBl Ⅱ 2020/96, („Schließungsverordnung“), verlängert durch die beiden Verordnungen BGBl Ⅱ 2020/110 und BGBl Ⅱ 2020/151).
Der 7.Senat verneinte den Anspruch auf Mietzinsminderung und begründete dies wie folgt:
Nicht zu beurteilen war, ob eine weitgehende Schließung der Kanzlei zur Verringerung der Ansteckungsgefahr mit COVID-19 oder aufgrund dringlicher behördlicher Empfehlungen („Schutz vulnerablen Gruppen“) oder behördlicher Maßnahmen (zB Abstandsregel) eine Mietzinsminderung rechtfertigen könnte, da dies von der Mieterin nicht vorgebracht wurde. Ebenso war nicht zu entscheiden, ob Umsatzeinbußen des Geschäftsraummieters, die sämtliche Unternehmer der gesamten Branche allgemein und insgesamt treffen, zu einer Mietzinsminderung berechtigen, da die Mieterin im vorliegenden Fall die Umsatzeinbußen mit ihrer spezifischen Tätigkeit als Wirtschaftsanwältin und ihrer konkreten Mandantenstruktur begründet hatte. Der 7.Senat verwies diesbezüglich jedoch auf die ablehnende Rsp des 3.Senates (3 Ob 209/21p).
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