WIMT-Sondernewsletter 2022/2

 

 

1) Mietzinsminderung wegen Umsatzrückgangs im ersten Lockdown – Reisebüro (OGH 24.03.2022, 3 Ob 209/21p)

 

 

a) Umsatzeinbußen des Geschäftsraummieters, die sämtliche Unternehmer der gesamten Branche allgemein und insgesamt treffen, sind dem Unternehmerrisiko zuzuordnen und daher für den zu zahlenden Mietzins nicht relevant.

b) Lassen sich Umsatzeinbußen des Geschäftsraummieters auf behördliche Maßnahmen (zB Betretungsverbote) zurückführen, die anlässlich der COVID-19-Pandemie verfügt wurden, so sind solche Umsatzeinbußen konkrete Folgen einer objektiven Einschränkung des vertraglich bedungenen Gebrauchs des Bestandobjekts und im Rahmen einer Mietzinsminderung zu berücksichtigen.

Im konkreten Fall ging es um ein Geschäftslokal im Ausmaß von 86,95 m² mit dem vereinbarten Geschäftszweck einer Verwendung als Reisebüro. Das Objekt hat eine Straßenfront mit einer Länge von etwa sechs Metern, eine Toilette und einen kleinen Back-Office-Bereich mit Küche, Tisch und einigen Sesseln, der als Aufenthaltsraum für die Mitarbeiter dient. Der Großteil des Objekts wird als Kunden-Bereich verwendet (5 Tische + 1 Stuhl für den Reisebüromitarbeiter und je 2 Stühle für Kunden). Im Zeitraum zwischen 16. März bis 30. April 2020 galt für den Kundenbereich des Bestandobjekts ein behördliches Betretungsverbot.

Der 3.Sentat bestätigte zunächst seine Vorentscheidung (3 Ob 184/21m), wonach die Frage, ob (teilweise) Unbenützbarkeit des Bestandgegenstands vorliegt, nach dem Vertragszweck zu beurteilen ist. Die Bestandsache müsse eine Verwendung zulassen, wie sie gewöhnlich nach dem Vertragszweck erforderlich ist und nach der Verkehrssitte erfolgt. Für die Beurteilung sei in erster Linie die (ausdrückliche) Parteienvereinbarung bzw der dem Vertrag zugrunde gelegte Geschäftszweck maßgeblich (8 Ob 131/21d mzN).

Zur rechtlichen Bedeutung von Umsatzeinbußen wählte der OGH einen differenzierenden Ansatz:

- Soweit Umsatzeinbußen des Geschäftsraummieters eine unmittelbare Folge der COVID-19-Pandemie sind, die sämtliche Unternehmer wie (auch) den Mieter des Geschäftslokals, insbesondere dessen gesamte Branche, allgemein und insgesamt treffen, so seien diese dem Unternehmerrisiko zuzuordnen und daher für den zu zahlenden Mietzins nicht relevant. Diese Auswirkungen der Pandemie seien keine Gebrauchsbeeinträchtigung des vom Vermieter vereinbarungsgemäß zur Verfügung zu stellenden Objekts. Es gibt nach Ansicht des 3.Senates keine überzeugenden und konkreten gesetzlichen Grundlagen, die es geboten erscheinen ließen, die praktisch global eine ganze Branche treffenden Umsatzeinbußen als Unbrauchbarkeit des bestimmten Bestandobjekts dem einzelnen Vermieter aufzubürden.

- Lassen sich hingegen Umsatzeinbußen des Geschäftsraummieters auf behördliche Maßnahmen, hier also auf jene Betretungsverbote zurückführen, die anlässlich der COVID-19-Pandemie verfügt wurden, so seien solche Umsatzeinbußen konkrete Folgen einer objektiven Einschränkung des vertraglich bedungenen Gebrauchs des Bestandobjekts und im Rahmen einer Mietzinsminderung zu berücksichtigen.

- Als Zwischenergebnis hielt der OGH daher fest, dass Umsatzeinbußen des Geschäftsraummieters zwar ein Indiz dafür sein können, dass eine (teilweise) Unbrauchbarkeit des Bestandobjekts vorliegt, allerdings müssen diese Einbußen abgesehen von Fällen eines vertragswidrigen Verhaltens des Bestandgebers im Anwendungsbereich des § 1105 ABGB eine unmittelbare Folge der – etwa wegen behördlicher Maßnahmen – eingeschränkten Nutzungsmöglichkeit des konkreten Geschäftslokals sein.

- Bezugnehmend auf den konkreten Fall könnte daher eine Umsatzeinbuße dann beachtlich sein, wenn diese aus dem Umstand resultiert, dass Kunden das von der Mieterin gemietete Geschäftslokal nicht betreten durften und daher nicht in Präsenz betreut werden konnten. Ohne Belang sei es dagegen, wenn Umsatzrückgänge darauf beruhen, dass sich Menschen namentlich infolge der gesundheitlichen Risken der Pandemie nicht zu Reisen entschließen wollten.

Im Ergebnis hielt der OGH im vorliegenden Fall eine Mietzinsreduktion von 30% für gerechtfertigt, da die Mieterin die Ansprüche auf Mietzinsminderung  mit der allgemein gesunkenen Nachfrage nach Reisen und nicht mit der fehlenden Möglichkeit einer Beratung im Geschäftslokal begründet hatte.

Anbei finden Sie den Volltext der Entscheidung: https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Justiz/JJT_20220324_OGH0002_0030OB00209_21P0000_000/JJT_20220324_OGH0002_0030OB00209_21P0000_000.pdf

 

2) Mietzinsminderung wegen Betretungsverbots in den Lockdowns 1-3 – Einzelhandel + Kaffeeausschank (OGH 29.03.2022, 4 Ob 218/21v)

a) Bei der Ermittlung des Restnutzens ist auf den Vertragszweck bzw auf den dem Vertrag zugrunde gelegten Geschäftszweck abzustellen und der Bestandnehmer ist für die mangelnde Brauchbarkeit beweispflichtig.

b) Die Größenverhältnisse zwischen Verkaufsräumen und Lager bzw sonstigen Räumen sind nicht der allein entscheidende Faktor zur Bemessung des Restnutzens.

In diesem Fall war eine Geschäftsfläche in einem der Vermieterin gehörenden Einrichtungshaus streitgegenständlich, die von der Mieterin als Filiale ihres Handels- und Gastronomieunternehmens verwendet wurde. Der Umsatz in der Filiale betrifft zu zwei Drittel Non-Food-Artikel und zu einem Drittel Kaffee. Von diesem Drittel machen zwei Drittel Röstkaffee und ein Drittel Kaffeeausschank aus. Es werden auch kleine Speisen verkauft. Der Verkaufsraum nimmt etwa zwei Drittel der gemieteten Gesamtfläche ein, auf der restlichen Fläche befinden sich das Lager, das Büro und Personalräume.

Die Filiale war während der Lockdowns 1-3 geschlossen. In diesen Zeiträumen wurden keine Umsätze erzielt. Die Mieterin betrieb allerdings auch einen Online-Verkauf und setzte diesen während der drei Lockdowns fort. Es wurden aber die Waren nicht von der hier betroffenen Filiale aus versandt. Weiters bot die Mieterin auch „Click & Collect“ an. Während der drei Lockdowns hat die Mieterin diesen Service aber aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus nicht angeboten. Die Mitarbeiter der Mieterin waren in den Lockdowns zu 5 %, zu 18 % und zu 24 % anwesend und führten unter anderem eine Inventur durch und schickten Ware zurück. Außerdem wurde die Verkaufsfläche neu gestaltet.

Im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung hielt der OGH zunächst fest, dass die Größenverhältnisse zwischen Verkaufsräumen und Lager bzw sonstigen Räumen nicht der allein entscheidende Faktor zur Bemessung des Restnutzens sind. Wie bereits in der Vorentscheidung 8 Ob 131/21d ausführlich begründet sei vielmehr auf den Vertragszweck bzw auf den dem Vertrag zugrunde gelegten Geschäftszweck abzustellen und der Bestandnehmer für die mangelnde Brauchbarkeit beweispflichtig (8 Ob 131/21d).

Im konkreten Fall war der vertraglich festgelegte Geschäftszweck der Betrieb eines Einzelhandelsgeschäfts mit Verkauf von Kaffee und Non-Food-Artikeln samt der Verabreichung von Getränken und Speisen zum sofortigen Verzehr. Die Mieterin betreibt diese Filiale im Rahmen ihres weiträumigen Filialnetzes. Im Zusammenhang mit diesem tätigte sie auch Online-Verkäufe, und zwar auch während der Lockdowns. Die hier gegenständliche vermietete Geschäftsfläche sei daher – zumindest zum Teil – auch während der behördlich verordneten Sperre für den Kundenbetrieb dem Geschäftsbetrieb der Klägerin dienlich gewesen. Wie weit sie diese dafür einsetzte, oblag ihrer autonomen kaufmännischen Disposition. Jedenfalls aber nützte sie die Räumlichkeiten – wie festgestellt – auch teilweise für ihren Geschäftsbetrieb im Rahmen ihres Filialnetzes. Weiters sei zu bedenken, dass an Sonn- und Feiertagen das Geschäftslokal in jedem Fall geschlossen gewesen wäre und dass während des dritten Lockdowns zweiseitige unternehmensbezogene Geschäfte möglich gewesen wären. Unter Berücksichtigung aller Aspekte erachtete der OGH einen Restnutzen im Ausmaß eines Drittels des Gesamtnutzens der Geschäftsräumlichkeit für vertretbar.

Anbei finden Sie den Volltext der Entscheidung: https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Justiz/JJT_20220329_OGH0002_0040OB00218_21V0000_000/JJT_20220329_OGH0002_0040OB00218_21V0000_000.pdf

 


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