WIMT-Sondernewsletter 2021/1

 

 „Covid 19 Entscheidungen des BG Meidling“

 

Zur Zahlungspflicht eines Geschäftsraummieters während des Lockdowns - Friseursalon

 

Zinsminderung tritt auch dann ein, wenn der Bestandnehmer aus nicht aus seiner Sphäre stammenden Gründen an der vertragsgemäßen Nutzung gehindert ist. Ausschlaggebend ist, dass die dem vereinbarten Geschäftszweck entsprechende unternehmerische Tätigkeit zumindest teilweise auch ohne unmittelbaren Kundenkontakt in den Verkaufsräumen möglich war. Die Lagerung von Waren ist nur dann zu berücksichtigten, wenn die Lagerung typischerweise für den eigentlichen Betriebszweck als Verkaufslokal erforderlich ist. Das ist bei einem Friseur gerade nicht der Fall.

 

 

Da das Betreten des öffentlichen Raums nur sehr eingeschränkt in der oben genannten Zeit erlaubt war (unabhängig davon, ob der Wortlaut der Verordnung diese vermittelte Auslegung tatsächlich hergab, ging die Bevölkerung dennoch davon aus), war weder das Flanieren noch das Einkaufen in den meisten Geschäften möglich. Die Auslage trug daher in dieser Zeit nicht zur weiteren Geschäftstätigkeit (Anlockung von Kunden, Werbung, etc.) bei.

 

§ 1104 ABGB bestimmt, dass der Bestandsgeber – wenn die in Bestand genommene Sache wegen außerordentlicher Zufälle, als Feuer, Krieg oder Seuche, große Überschwemmungen, Wetterschläge oder wegen gänzlichen Misswachses gar nicht gebraucht oder benutzt werden kann – zur Wiederherstellung nicht verpflichtet, doch auch kein Mietzins oder Pachtzins zu entrichten ist. § 1105 S 1 ABGB sieht bei bloß teilweiser Gebrauchseinschränkungen infolge eines außerordentlichen Zufalls, eine verhältnismäßige Zinsminderung vor.

In der demonstrativen Aufzählung des § 1104 ABGB wird beispielhaft die Seuche angeführt. Eine Seuche bezeichnet eine bedrohliche und sich rasch verbreitende Krankheit (Kronthaler, Die Auswirkungen der Verbreitung von COVID-19 auf Miet- und Pachtverträge, RdW 2020/250). Nach der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz betreffend anzeigepflichtige übertragbare Krankheiten 2020, BGBl. II Nr. 15/2020, ist das „2019 neuartiges Coronavirus“ anzeigepflichtig. Die Covid-19-Pandemie ist somit als Seuche im Sinne des § 1104 ABGB anzusehen (u.a. Prader/Gottardis in immolex 2020, 106; Lovrek, COVID-19: Auswirkungen auf Bestandverträge, ZIK 2020/60).

 

Da in § 1104 ABGB die Seuche ausdrücklich genannt wird und eine solche im konkreten Fall auch vorgelegen hat (bzw vorliegt), liegt die Gebrauchseinschränkung gerade nicht in der der Sphäre des Bestandnehmers, sie ist auch kein vom Bestandnehmer zu tragendes "allgemeines Lebensrisiko", sondern trifft einen größeren Personenkreis. § 1107 ABGB findet daher gegenständlich kein Anwendung (Lovrek, ZIK 2020/60; Prader, CuRe 2020/42). Zinsminderung tritt nicht nur ein, wenn die Bestandsache selbst mangelhaft ist, sondern auch dann, wenn der Bestandnehmer aus nicht aus seiner Sphäre stammenden Gründen an der vertragsgemäßen Nutzung gehindert ist. Es wird nicht auf die absolute Unmöglichkeit der Benützung abgestellt, sondern auf die Unmöglichkeit der Benützung zum bedungenen Gebrauch. Es kommt daher nicht darauf an, ob das Objekt noch auf irgendeine Weise verwendet werden kann (Lovrek in ZIK 2020/60).

 

Wesentlich ist daher der vertraglich bedungene Verwendungszweck des Mietgegenstands. (Ofner, ZfRV 2020/13). Ausschlaggebend ist, dass die dem vereinbarten Geschäftszweck entsprechende unternehmerische Tätigkeit zumindest teilweise auch ohne unmittelbaren Kundenkontakt in den Verkaufsräumen möglich war. Die bloße Tatsache, dass der Mieter die Räumlichkeiten auch für das Lagern von Sachen nutzte, reicht hingegen nicht aus, wenn die eigentliche geschäftliche Tätigkeit, der die Lagerung dient, durch räumliche Beschränkungen gänzlich verunmöglicht wurde (Ofner, ZfRV 2020/13).

 

Unerheblich ist, welchen Umsatz die beklagte Partei in den Folgemonaten hatte. Einerseits ist hier nur der konkrete Monat April 2020 zu beurteilen und in diesem Monat konnte die beklagten Partei ihrer vertraglichen bedungenen Geschäftstätigkeit nicht nachgehen. Andrerseits ist gerade im Friseurgewerbe ein Nachholeffekt ausgeschlossen, weil der Besuch bei einem Friseur, auch wenn er später als ursprünglich geplant erfolgte, dennoch nur dieses eine Mal erfolgen kann; niemand geht nach kurzer Zeit noch einmal zum Friseur, damit er seine sonst übliche Anzahl an Friseurbesuchen einhält. Dies unabhängig davon wie groß die bisher stattgefundene „optisch Verwahrlosung“ ausfällt.

 

Die Lagerung von Waren ist nur dann zu berücksichtigten, wenn die Lagerung typischerweise für eigentlichen Betriebszweck als Verkaufslokal erforderlich ist (Lovrek in ZIK 2020/60). Das ist bei einem Friseur gerade nicht der Fall. Zwar werden üblicherweise einzelne Produkte ausgestellt, eine darüber hinausgehende Lagerhaltung wurde jedoch weder behauptet noch nachgewiesen. Vielmehr wurde außer Streit gestellt, dass die beklagte Partei ausschließlich ein Friseurgeschäft betreibt. Auch die für den Betrieb notwendigen Mittel (etwa Registrierkassa, Waschbecken, etc) dienen gerade dem aufrechten Betrieb, eine gesonderte Lagerung besteht nicht.

 

Da – wie allgemein bekannt – das Betreten des öffentlichen Raums nur sehr eingeschränkt in der oben genannten Zeit erlaubt war (unabhängig davon, ob der Wortlaut der Verordnung diese vermittelte Auslegung tatsächlich hergab, ging die Bevölkerung dennoch davon aus), war weder das Flanieren auf der M*** ***straße noch das Einkaufen in den meisten Geschäften möglich. Die Auslage des Geschäftes der beklagten Partei trug daher in dieser Zeit nicht zur weiteren Geschäftstätigkeit (Anlockung von Kunden, Werbung, etc.) bei. Ebenso ungeeignet war der Einwand, dass Termine vereinbart werden konnten, weil die tatsächliche Geschäftstätigkeit erst wieder ab 01.05.2020 aufgenommen werden durfte

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Das „Reserviert-Halten“ ändert nichts an dem Umstand, dass die beklagte Partei ihr Geschäft im Zeitraum des „Lock-Downs“ nicht zum bedungenen Gebrauch nutzen konnte. Auch wenn das Bestandobjekt nach der Schließung wieder zur Verfügung steht, ist ein gänzlicher Entfall der Verpflichtung zur Zahlung des Mietzinses nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 1104 ABGB möglich, wenn die in Bestand genommene Sache wegen einer „Seuche [...] gar nicht gebraucht oder benutzt werden kann“. Da eine Seuche meist nicht zum Untergang der Bestandsache selbst führt, wollte der Gesetzgeber offenbar in § 1104 ABGB dem „Reserviert- Halten“ keinen eigenständigen Wert zuerkennen. Ähnlich sah das bisher auch die Rechtsprechung, die eine Beschlagnahme durch eine Besatzungsmacht, auch unter § 1104 ABGB einordnete (RS0024896). Auch hier geht das Bestandobjekt an sich nicht unter und kann nach dem Wegfall der Einschränkung wieder verwendet werden.

 

Die beklagte Partei konnte somit aufgrund eines außerordentlichen Zufalls von 16.03.2020 bis 30.04.2020 ihrer vertraglich festgelegten und bisher ausgeübten Tätigkeit im Bestandobjekt nicht nachkommen. Sie musste daher nach § 1104 ABGB für den Monat April 2020 keinen Mietzins entrichten. Somit lag kein Mietzinsrückstand vor, weswegen auch das Räumungsbegehren nicht berechtigt war. Auf ein grobes Verschulden kam es nicht an, weswegen die Parteieneinvernahme der beklagten Partei nicht durchzuführen war. Da kein Mietzinsrückstand vorhanden war, war auch nicht mit Teilurteil zu entscheiden, sondern das Klagebegehren zur Gänze abzuweisen.

 

BG Meidling 28.10.2020, 9 C 368/20b – rechtskräftig

 

Volltext der Entscheidung unter:

 

https://www.justiz.gv.at/bg-meidling/bezirksgericht-meidling/pressemitteilungen~994.de.html